Ich hatte das große Glück, meine Kindheit am Rande eines wunderschönen Waldes verbringen zu dürfen. Schon im Alter von fünf Jahren wurde der Wald mein Zufluchtsort. Wann immer ich traurig war oder das Gefühl hatte entfliehen zu müssen, suchte ich intuitiv die Nähe der Bäume als Trost. Ich lief in den Wald, oft auch querfeldein, und spürte sofort die heilende, beruhigende Wirkung. Als ich älter wurde, saß ich manchmal mehrere Stunden auf einer einsamen, versteckten Bank inmitten des Grüns und schaute durch die Baumkronen in den Himmel. Ich fühlte mich dann sofort ruhiger, verbunden und aufgefangen. Die Kombination aus Ruhe und gleichzeitig pulsierender Lebensenergie hat mich schon immer geerdet und mir Kraft gegeben. Als Kind im Wald spürte ich zum ersten Mal das Einssein, die Verbundenheit aller Dinge, und fand darin Trost.
Auch heute ist der Wald noch mein Zufluchtsort. Ich habe das Glück, dass ich wie in meiner Kindheit wieder am Waldrand wohne. Und wie damals suche ich auch heute die Nähe der Bäume und deren heilende Wirkung, um Stress abzubauen, mich zu erden, meinen Körper und Geist zur Ruhe kommen zu lassen und die Verbundenheit mit dem Großen Ganzen zu spüren. Ich laufe durch den Wald und spüre sofort, wie meine Schultern etwas tiefer nach unten sinken, wie ich freier atmen kann und sich unnötige körperliche und geistige Anspannung lösen. Ich schließe meine Augen, höre auf die Musik des Waldes und tauche ein in den erdigen Duft, verliere mich in diesem wohltuenden Gefühl der Verbundenheit.
Bäume sind großartige Lehrmeister. Wenn man sich die Zeit nimmt, ihnen genau zuzuhören, sie ganz genau anzuschauen, kann man alles Wesentliche von ihnen lernen. Bäume leben in Harmonie mit allem, was sie umgibt. Sie nehmen nur, was sie brauchen und geben unermüdlich. Sie sind stark und kraftvoll, aber ebenso flexibel, sanft und nachgiebig. So können sie fast jeden Sturm überstehen. Sie bilden tiefe Wurzeln und strecken sich gleichzeitig Richtung Himmel. Sie wachsen langsam, aber stetig und hören nie auf sich weiterzuentwickeln. Ein Baum verändert sich, wenn nötig und bleibt gleichzeitig fest verwurzelt und geerdet. Er lässt los, wenn es an der Zeit ist loszulassen, ohne krampfhaft zu versuchen festzuhalten. Er sammelt seine Energie nach innen und reduziert seine Aktivität, wenn das gebraucht wird, aber produziert und gibt großzügig ab, wenn die äußeren Umstände es erlauben. Wenn wir alle von den Bäumen lernen würden, könnte diese Welt ein so viel schönerer Ort sein. Wir brauchen unsere Wälder, unsere Seen, Flüsse, Wiesen, Pflanzen, Meere und Tiere. Wenn wir in die Natur gehen und uns wieder verbinden, dann merken wir, was Konstrukt und was echt ist – unser Menschsein wird plötzlich weniger wichtig. Wenn man in den Wald, ans Meer oder in die Berge geht, heilen Seele und Körper und wir werden daran erinnert, was es wirklich bedeutet, am Leben zu sein und wie kostbar alles Leben ist. Natur ist nicht etwas außerhalb von uns, sondern wir sind Teil davon. Wir atmen den Sauerstoff, den Bäume und Pflanzen für uns produzieren, und sie nutzen das CO2, das wir ausatmen, um den Kreislauf von Neuem zu beginnen. Alles kann immer nur zusammen mit allem anderen bestehen, alles Sein ist ein riesiges Ökosystem. Jeder Schaden, den wir einem Teil dieses Systems zufügen, trifft immer auch uns selbst.
Wenn wir in die Natur gehen, kehren wir zu unserem eigenen Ursprung zurück, wir verbinden uns wieder mit uns und mit allem. So können wir heilen und wieder ganz werden.
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